Bildquelle des Beitragsbilds zur Sitzverteilungs-Grafik:
https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2017/ergebnisse/bund-99.html
Weil zu viele Wählerinnen die Feinheiten des deutschen Wahlrechts nicht kennen, glauben sie, dass sie zusätzlich zur Zweitstimme für ihre Partei auch noch den Direktkandidaten derselben Partei wählen müssen, um dieser Partei noch mehr zu nützen und regional mehr Vertreter in Berlin zu haben.
Dies kann dazu führen, dass eine Partei mehr Direktmandate gewinnt, als ihr Sitze zustehen, die sich nur aus dem Zweitstimmenergebnis ableiten. Die Partei hat also “Überhang-Mandate” errungen. Seit 2013 gilt aber, dass die Relation der einzelnen Parteien zueinander durch diese Überhangmandate nicht verändert werden darf. Daher wird die Gesamtzahl der Sitze im Bundestag so lange erhöht, bis dieses Verhältnis wieder im Lot ist. Das bedeutet letztendlich aber, dass von den Parteien, welche der Wähler nicht gewählt hat, nun einige von den Landeslisten in den Bundestag rücken. War also nix: Weder ein Übergewicht der Abgeordneten der favorisierten Partei noch unbedingt mehr aus der Region.
Die Medien, und insbesondere hier die lokale Zeitung Heilbronner Stimme, haben eine Aufklärung diesbezüglich meines Wissens unterlassen. Wie aus der Grafik ersichtlich ist, wird der gerade gewählte Bundestag 709 Sitze haben. Offiziell sollten es nur 598 Abgeordnete sein. Also einhundertundelf Sitze mehr als nötig. Diese 111 setzen sich zusammen aus 46 Überhangmandaten und 65 Ausgleichsmandaten. Alles zulasten des Steuerzahlers: Diäten, Umbau des Sitzungssaals, Büros, Mitarbeiter… Die Augsburger Allgemeine zitiert eine Aussage des Bunds der Steuerzahler, wonach 45 Millionen Euro Mehrkosten pro Jahr dafür anfallen.
Wieder einmal zeigt sich, dass gut gemeint das Gegenteil von gut ist. Zufällig ist diese Zahl 111 identisch mit der Gesamtzahl der Einzelbewerber für ein Direktmandat bei der gerade gelaufenen Wahl…
Wenn mehr Wähler Bescheid gewusst hätten, hätte das nämlich mir als unabhängigem Einzelkandidaten möglicherweise extrem genutzt. Mit dem Wissen, dass bei einer Stimme für einen Einzelkandidaten die auf demselben Wahlschein abgegebene Zweitstimme nur dann gestrichen wird, falls der Unabhängige tatsächlich in den Bundestag einzieht, wäre möglicherweise ein Umdenken zugunsten von Einzelberwerbern eingetreten. Bei einem gewählten Unabhängigen hätten es auch kein Überhangmandat (und auch keine Ausgleichsmandate) geben können und damit wären auch dem Steuerzahler extreme Kosten erspart geblieben. So hat es für mich leider nur zum zehnten Platz bei 13 Bewerbern gereicht.
Vorläufiges amtliches End-Ergebnis der Bundestagswahl 2017 im Wahlkreis Heilbronn
Video der Bundeszentrale für politische Bildung:
Video der Bundeszentrale für politische Bildung zu Überhang- und Ausgleichsmandaten
Ergebnisse Deutschland Sitzverteilung im 19. Deutschen Bundestag – Der Bundeswahlleiter
Leserbrief an die HSt vom 26.9.17, 8.40 Uhr
Wählerschaft durchschaut überwiegend die Feinheiten des Wahlrechts nicht
Leider wird in dem Artikel dpa-Artikel keine Ursachenforschung betrieben, warum denn die Überhangmandate und die zwangsläufig daraus folgenden Ausgleichsmandate so stark zugenommen haben.
Für mich als Querdenker ist es klar: Wenn die Wahlkreise wie aktuell, “billig”, zum Teil unter dreißig Prozent, weggehen und überwiegend oder gar ausschließlich von einer Partei gewonnen werden, muss es Überhangmandate geben, weil man den direkt gewählten Kandidaten das Mandat nicht wegnehmen darf. In einem Erklär-Video von BR24
http://www.br.de/mediathek/video/sendungen/nachrichten/bundestagswahl-ueberhangmandate-100.html
Erklärvideo von BR24, mit Fehler wird fälschlich behauptet, dass dies eintrete, wenn bei der Erststimme und der Zweitstimme unterschiedliche Parteien angekreuzt würden.
In Bayern hat die CSU alle 46 Direktmandate errungen, die CDU in BW alle 38, die SPD in Hamburg fünf von sechs, in Bremen alle beiden. Da die Hälfte der Sitze im Bundestag über die Direktmandate vergeben werden, und die andere Hälfte über die Landeslisten*, wird klar, dass die genannten Parteien schon 50 % (BW), 49,5 % (BY), 41,7 % HH / und 40 % (HB) der Sitze für das Bundesland innehaben. Da das Zweitstimmen-Ergebnis aber über die Relation der Sitze im Bundestag entscheidet, und dieses bei allen genannten Parteien zum Teil weit unter 40 % liegt, muss der Bundestag so lange vergrößert werden, bis die Abgeordnetenzahl dieser Parteien wieder “passt”.
* auf Landesebene kann aufgrund schwankender Einwohnerzahlen die Anzahl der Listenplätze um plusminus 1 von der Anzahl der Wahlkreise abweichen. Siehe als Bild eingefügte Tabelle unten. (In Bayern und Bremen 2017 jeweils +1)
Kuriose Konsequenz dieses seit 2013 gültigen Mechanismus: Wenn viele mit ihrer Erststimme und Zweitstimme ihre Partei “doppelt” unterstützen wollen, bewirken sie zunächst einmal Überhang-Mandate. Zum Ausgleich ziehen dann Kandidaten der Parteien, die sie nicht gewählt haben, von der Landesliste in den Bundestag ein. An den Mehrheitsverhältnissen ändert es nichts, aber es wird für den Steuerzahler laut Augsburger Allgemeine nach dem Bund der Steuerzahler 45 Millionen Euro pro Jahr teurer. http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Der-Bundestag-waechst-und-wird-teuer-id42775741.html 45 Millionen Mehrkosten durch Aufblähung des Bundestags.
Gut gemeint ist damit wieder einmal das Gegenteil von gut. Statt des Direktkandidaten aus der Region plus einem von der Landesliste der gewählten Partei, werden Kandidaten von relativ hinteren Plätzen der Landesliste der anderen Parteien (die man nicht gewählt hat) in den Bundestag geschickt. Im Zweifel stammen die sogar aus einer ganz anderen Region. Vor allem aber kennt man sie in der Regel gar nicht. Weil die Medien solche Kandidaten noch weniger beachten als unabhängige Einzelbewerber im aktuellen Wahlkreis.
Würden viele Wahlkreise von Einzelbewerbern gewonnen, gäbe es das Problem mit Überhang- und daraus folgenden Ausgleichsmandaten nicht oder kaum noch.
Verteilung der Ausgleichsmandate auf Parteien und Landeslisten Bundestagswahl Feinheiten btw17_heft3
Zum Vergleich eine eindringliche Schilderung der Zustände im britischen Unterhaus
Kommentar hinterlassen