Interrail 1979 – naiv und 1. Versuch mit 20
Beim ersten Mal Interrail verreiste ich mit meinem Freund Karl. Gen Süden sollte es gehen. Portugal, der südwestlichste Teil von Europa verhieß sauberes Meer und schönes Wetter…
Bares und EC-Karte plus Scheckheft gab’s von den Eltern. Spiegelreflexkamera und Kodachrome gehörten auch dazu.
Obwohl wir ein Zelt mitgenommen haben, kam ein typischer Tragegestell-Rucksack nicht infrage. Zelt und Isomatte konnten auch außen an einem „normalen“ Bergsteiger-Rucksack befestigt werden.
Wir hatten nichts reserviert. Alles sollte spontan sein. So fuhren wir möglichst auf dem kürzesten Weg aus Deutschland heraus. Denn die Freiheit, nichts für die Bahnfahrt bezahlen zu müssen, fing erst hinter der deutschen Grenze an. Im Inland kostete es immerhin die Hälfte… (Böse Zungen behaupten, dass diese Hälfte für manche Bundesbürger teurer sein könnte als der ganze Interrail-Pass…)
Frankreich, wir kommen
Wir fuhren jedenfalls nach Paris und mussten uns dort damit auseinandersetzen, dass es für verschiedene Richtungen auch verschiedene Bahnhöfe gab.
Bis Avignon hatten wir es an unserem ersten Tag geschafft. Und da wir beide Ruderer waren, wollten wir auf dem Vereinsgelände des dortigen Ruderclubs zelten. Beim Ruderclub war niemand anzutreffen (im August macht immer ganz Frankreich Urlaub) und wir stiegen kurzerhand über den Zaun und stellten unser Zelt in Sichtweite des berühmten Pont d’Avigignon auf (was die einzige Nutzung des Zelts bei dieser Reise bleiben sollte…) Wir hatten die ganze Nacht Hundegebell gehört und wussten nicht, ob sich der dazugehörige Hund nicht doch auf dem Ruderclub-Gelände befand. Wir verließen das Areal also am sehr frühen Morgen.
Nach Komplettierung der Verpflegung, die anfängermäßig ziemlich Butterkeks-lastig war, bestiegen wir den nächsten Zug Richtung Süden.
Anfangs waren wir noch ein bisschen kulturbeflissen und stiegen unterwegs nochmals aus, um eine berühmte Kathedrale zu besichtigen. Die Europakarte des Interrail-Pakets erwies sich als übersichtlich, aber vom Maßstab her viel zu grob. Dennoch bekamen wir heraus, dass wir bei Cerbère/Portbou die spanische Grenze überqueren mussten, um nach Barcelona zu kommen.
Wenn man hungrig ist –
sprachliche Missverständnisse
In Barcelona nahmen wir uns ein Zimmer in einem billigen Hotel in der Hafengegend. Ein Streifzug über die berühmte Ramblas endete in einer Bar, wo sie ein Gericht namens „Brastwurt“ anboten. Da der Deutsche gern das bestellt, was er kennt oder zu kennen glaubt, geschah die Katastrophe: Die erwartete Bratwurst erwies sich als zähes, schuhsohlenartiges Teil, völlig ungenießbar.
Karl hielt mich von dem Besuch jeglicher Restaurants ab, da er keinen Hunger hatte, so dass ich völlig entnervt eine Bäckerei betrat. Anstatt auf Deutsch zu sagen „Zwei Brötchen bitte“ und zu erwarten, dass die Verkäuferin das auch versteht, habe ich verzweifelt versucht, mich mit Händen und Füßen auszudrücken. Und beschlossen, bei nächster Gelegenheit Spanisch zu lernen.
Warteschlangen vermieden
und Schaffner ausgetrickst
Schon am nächsten Tag wollten wir weiter nach Süden fahren und checkten am Bahnhof den Fahrplan. Da gab es einen Expreso nach Sevilla. Komisch war, dass nur die Abfahrtszeiten vermerkt waren, nicht aber die Ankunftszeiten am Ziel. Wir sahen, dass sich viele andere Interrailer an irgendwelchen Schlangen anstellten. Auf Nachfrage erfuhren wir, dass sich manche einen Stempel für das Interrail-Heftchen abholen wollten, andere besorgten sich eine Reservierung. Wir glaubten, auf beides verzichten zu können. Als wir den Zug ohne Reservierung besteigen wollten, wurden wir von mehreren Schaffnern wieder rausgeworfen, was uns aber nicht davon abgehalten hat, kurz vor Abfahrt des Zuges doch noch einzusteigen und uns auf dem Gang breit zu machen. Einmal im Zug, gab es erstens viel weniger Schaffner und die ließen uns und Dutzende andere Backpacker zweitens jetzt auch in Ruhe. Und mit der Isomatte auf dem Boden im Gang zu liegen, war nicht das Schlechteste. Für die regulären Fahrgäste, die auf dem Weg zur Toilette über uns drübersteigen mussten, war es sicher viel unangenehmer ;-).
Expreso ist nicht unbedingt schnell –
die Vorräte werden knapp
Mehrmals kam ein Junge mit einer Art Minibar vorbei und wollte Getränke etc. verkaufen. Da wir der Meinung waren, genug Vorräte zu haben, lehnten wir ab. Doch die 1 ½-Liter-Flasche Mineralwasser und die Literflasche Coca Cola erwiesen sich bald als völlig unterdimensioniert. Wir merkten nämlich, dass die durchschnittliche Geschwindigkeit des Expreso dem Namen keine Ehre machte, ja, dass der Zug im Gebirge sogar so langsam fuhr, dass man hätte abspringen und nebenherlaufen können.
Das hätte man tatsächlich tun können, denn die Türen des Expreso gingen nach innen auf und blieben oft während der Fahrt zwecks besserer Belüftung geöffnet. Die Dehnungsfugen der Schienen erzeugten zusammen mit der langsamen Geschwindigkeit ein sonores „tatam, tatam, tatam“… Wir stellten also Hochrechnungen an und merkten, dass wir unsere Getränke rationieren mussten. Jeder einen halben Becher alle zwei Stunden. Der Getränke-Junge war natürlich längst ausverkauft…
Als gegen acht Uhr morgens der Zug in Cordoba hielt, tranken viele Einheimische Wasser aus den schwarzen Versorgungsschläuchen der RENFE, wie die spanische Staatsbahn heißt. Wir beschlossen, lieber auszusteigen und Proviant zu kaufen. Kein Problem, denn das Interrail-Ticket gilt ja für alle zuschlagfreien Züge.
Nicht vergessen werden wir, dass es in unmittelbarer Bahnhofsnähe von Cordoba jede Menge Läden mit Autozubehör gab, aber keine Lebensmittel-Geschäfte.
Die Intelligenz der Gruppe
Wir nahmen den nächsten Zug nach Sevilla, wo es einen Bahnhof mit bunten Glasfenstern gibt, wie in einer Kirche. Wir wollten weiter Richtung Portugal und das Ziel hieß Ayamonte über Huelva. Diesmal hatten wir mehr Wasser dabei. Dennoch waren wir etwas irritiert, als der Zug mitten auf freier Strecke in der glühenden Hitze anhielt und der Lokführer ausstieg. Wir erreichten den Grenzbahnhof dennoch und sofort machte sich eine Karawane von Rucksacktouristen auf. Anstatt einfach der Meute zu folgen, wollten wir uns zunächst informieren. Aber manchmal hat die Masse einfach Recht…
Die Karawane endete am Hafen, wo eine Fähre über den Grenzfluss Guadiana wartete. Drüben angekommen, waren wir auch schon direkt am Bahnhof. Der Fahrplan sagte, dass es einen Zug nach Faro gab, der aber wohl schon abgefahren sein musste…. Bis jemand uns beruhigte, alles sei gut, in Portugal müsse/dürfe man die Uhren eine Stunde zurückstellen.
Kontakt mit dem weiblichen Geschlecht
Teil I
Als ein Teil der Backpacker in Faro ausstieg, haben wir das auch getan. In der Altstadt fanden wir ein „Quarto“, ein Fremdenzimmer. Auch eine junge Deutsche hatte sich dorthin verirrt. Sie war Verkäuferin und arbeitete immer nur so lange, bis sie genug Geld für die nächste Reise zusammenhatte. Insgeheim hatte ich gehofft, dass wir uns zu dritt hätten ein Zimmer teilen können…
Als während der Nacht sich jemand an unserer Zimmertür zu schaffen gemacht hatte, stand ich auf und klopfte bei der Deutschen, um sie zu warnen. Sie kam kurz raus und wir unterhielten uns auf einer Bank im offenen Atrium des Hauses mit Blick auf den Nachthimmel. Weil es etwas kühl war, gab ich ihr ein Küsschen und verzog mich nach kurzer Zeit wieder in unser Zimmer. Wir haben die Frau nie wieder gesehen.
Der nächste Tag sollte uns (finalmente) zur Endstation der Algarve-Bahnlinie nach Lagos bringen. Wieder musste man nur der Karawane folgen, um in die Innenstadt zu gelangen. Im „Turismo“-Büro fragten wir nach einem Zimmer und wurden an eine ältere Frau vermittelt, die drei Fremdenzimmer im Obergeschoss eines Hauses nahe der Stadtmauer vermietete.
Hier würden wir etwa eine Woche bleiben.
Strand und Algarve-Felsen
Wir erkundeten die Klippen und Strände – das Meer war uns als Baden-Württemberger ja noch völlig unbekannt…
Mein Dank nochmals an meinen Freund Karl, der mich vor einem waghalsigen Hinunterklettern von den Klippen bewahrt hat. Manchmal braucht es eben etwas Zeit, um die echten Abstiege zu den Traumstränden zu finden.
Zu zwei felsumrahmten Buchten führten nämlich schluchtenartige Wege hinunter, die aber (natürlich) in der Regel nicht an der Kante der Klippen begannen und die zum Teil mit Seilen oder Brettern etwas gesichert waren.
Aber das Schönste für mich war, dass die meisten Menschen an diesen Buchten nackt waren. Offensichtlich interessierte es niemanden, dass Nacktbaden in Portugal verboten ist. Skinny dipping nennen es die Engländer… Weniger begeistert zeigte sich Karl und behielt lieber seine Badehose an.
Allabendliche Kurzschlüsse
Am Abend saßen wir in Lagos in einem Restaurant, als plötzlich der Strom ausfiel. Erstaunlich war, mit welcher Ruhe und Gelassenheit die Kellner Glühstrumpf-Campinggas-Lampen holten und sie anzündeten. Gekocht wurde sowieso mit Gas… Die etwas billigeren Restaurants hatten Kerzen statt Glühstrümpfe. Als wir später durch die Gassen gingen und sahen, wie zwei nicht isolierte Stromleitungen, die an den Hauswänden befestigt waren, sich durch den Wind berührten, war uns klar, woher die Stromausfälle rührten.
Kontakt mit dem weiblichen Geschlecht
Teil II
Die Bewohner der drei vermieteten Zimmer im Haus an der Stadtmauer mussten die Toilette und das Bad gemeinsam nutzen. Dabei begegnete uns eine Deutsche. Sie war aus Hamburg und war Lehrerin. Etwa 30 Jahre alt.
Am nächsten Morgen diskutierte ich mit Karl, dass wir die Hamburgerin auf ihrem Zimmer besuchen sollten. Er wollte nicht… Das ging so lange, bis ich sagte, dass ich dann alleine gehen würde.
Möglicherweise hatte die Lehrerin unseren Streit/unsere Unterhaltung mit angehört… Ich klopfte und sie sagte „herein“, lag dabei aber völlig nackt auf ihrem Bett. Das Zimmer war winzig. Am Ende des ebenfalls sehr kurzen und schmalen Betts stand ein Hocker, auf den ich mich setzte. Ich trug nur eine kurze Sporthose. Eine nackte Frau direkt vor mir. (Viel später bekam ich das Gemälde L’Origine du Monde von Gustave Courbet aus dem Jahre 1866 (Der Ursprung der Welt) zu Gesicht, das im Musée d’Orsay in Paris hängt. Das beschriebene “Setting” in dem winzigen Zimmer in Lagos war dem Bild verblüffend ähnlich.)
Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Die Anatomie von Susannes Geschlecht verwirrte mich etwas; sie hatte die Schamlippen gespreizt und mein schüchterner Blick fand sich in den verschiedenen Haut-/Schleimhautfalten nur schwer zurecht. Als Susanne dann etwas von ihrem Freund erwähnte, war bei mir die sexuelle Spannung ziemlich abgeebbt. Wir beschlossen, am nächsten Morgen, zusammen mit Karl, mit dem Bus nach Sagres zu fahren, zum äußersten Südwestzipfel von Portugal.
Sagres war ein verschlafenes Nest
Es war sehr windig dort, so dass ich bald ein Halstuch anlegte – trotz an sich hoher Temperaturen.
Bei der Rückfahrt beobachteten wir, dass auf Unterwegs-Haltestellen „in der Pampa“ der Bus zwar anhielt, wenn aber niemand aussteigen wollte, ließ er die Wartenden stehen und fuhr weiter, ohne auch nur die Türen geöffnet zu haben. Möglicherweise war er voll und durfte keine stehenden Fahrgäste transportieren. Die vergeblich Wartenden taten uns leid…
Am nächsten Tag nahmen wir Susanne mit an den Strand. Sie hatte auch öffentlich keine Hemmungen, sich auszuziehen und ich durfte sie eincremen, sparte aber das Geschlecht aus, auch weil ich nicht wusste, wie die Schleimhäute auf die Sonnencreme reagieren würden. „Du machst das aber sehr sanft…“, hauchte die Hamburgerin.
Natürlich bin ich auch ausgiebig im Meer geschwommen. Und ich lernte, die Gezeiten zu beachten. Bei Flut konnte man beim Schwimmen unbeschwerter ins Wasser gehen, da es am Strand felsigen Untergrund gab, der mit „mehr Wasser in der Schüssel“ immer ungefährlicher wurde. Etwa 70 m vor dem Strand war ein Felsen mit einem Torbogen drin, durch den immer wieder Motorboote fuhren: Fischer, die tagsüber ein Zubrot damit verdienten, Touristen am Strand entlang zu fahren und ihnen die Grotten zu zeigen. Da ich ein guter Schwimmer war und bin, habe ich mir die Grotten schwimmenderweise und umsonst angesehen und bin auch selbst durch den Torbogen geschwommen. Anscheinend nennen die Einheimischen diesen Strand Waage-Strand (praia da balança), weil vom Meer aus betrachtet der Torbogen mit einem vorgelagerten spitzen Felsen wie eine Balkenwaage aussehen soll.
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