Mit Hermann Hesse über die Alpen –
Kenntnisse eines Radklassikers helfen
Wie beim ersten Interrail-Trip 1979 mit Karl wollte ich schnell aus Deutschland heraus, wo die Hälfte des Fahrpreises der Bahn fällig war. Also nach Straßburg. Diesmal aber sollte es auf kürzerem Wege, nicht über Paris, sondern über Mulhouse in Richtung Dijon gehen. Auf dem Bahnhof hatte ich aber einen etwas jüngeren Deutschen getroffen, der sogar in einem Ort in der Nähe von mir wohnte, etwa 35 km entfernt. Jürgen wollte die Schulkameradin seines Bruders an der Blumenriviera besuchen: Gina Giordano.
Blumenriviera
Ich musste erst ein paar Mal nachfragen, ehe ich mir ein Bild machen konnte, wo die Blumenriviera war. Aha, wenn man auf der Landkarte die Mittelmeerküste von Nizza über Monaco Richtung Italien „fährt“, kommt man an die italienische Blumenriviera. Bordighera hieß das Städtchen mit etwa 10.000 Einwohnern, wo das Mädchen mit italienischen Wurzeln bei ihren Großeltern Urlaub machte. Das hörte sich gut an, obwohl ich das Mittelmeer eher für eine Kloake hielt, aber ich musste ja nicht lange dort bleiben. Ich wusste natürlich, dass ich wieder nach Portugal wollte. Nur der Weg dorthin durfte gerne ein anderer sein…
Ich schloss mich also Jürgen an und wir fuhren zunächst über Mulhouse nach Basel und von dort nach Mailand. Hier zeigte sich die Flexibilität des Interrail-Passes: Ich strich einfach Dijon und schrieb dafür Milano. Der Zug der SSB rollte zügig und geräuscharm durch die Schweizer Bergwelt über die Alpen. Von dem Alpenpanorama und der durch einen Sketch des Schweizer Kabarettisten Emil Steinberger berühmten Kirche von Wassen auf der Gotthardtbahn habe ich aber nicht alles mitbekommen, da ich die Lektüre meines Reise‑Partners auf Zeit verschlungen habe: Siddhartha, eine indische Dichtung von Hermann Hesse. Reisen bildet eben ungemein…
In Mailand übernachteten wir in der Jugendherberge und stockten am nächsten Morgen Proviant auf mit Mailänder Salami und Ciabatta. Ich erinnerte mich an den Radklassiker „Mailand – San Remo“. Wir mussten also nach San Remo und von da ab die Küste entlang Richtung Monaco. Nun stellte sich heraus, dass Bordighera nur ca. 10 Bahnminuten von San Remo entfernt war. Kaum vorstellbar, dass wir das alles ohne Internet und Handy herausbekommen haben. Es klappte so beängstigend gut, dass wir schon um die Mittagszeit in Bordighera waren. Nun war es an mir, meine frischen Spanischkenntnisse in Italien auszuprobieren. Es sind ja beides romanische Sprachen und viele Wörter sind ähnlich.
Überraschend schnell fanden sich durch Befragen Einheimische, welche glaubten, die betreffende Familie zu kennen und die uns zu dem Haus führten. Unser Glück war perfekt, als die Leute auch noch zuhause waren und uns zum Essen einluden. Danach gingen wir mit der vollschlanken Gina und deren italienischen Cousin Roberto an den Strand. Die Nacht durften wir mit Isomatte und Schlafsack auf dem Balkon verbringen.
Am nächsten Morgen verabschiedete ich mich von allen.
Ich setzte meine Reise Richtung Portugal über Monaco,
Nizza und Barcelona fort. Bei einem kurzen Aufenthalt
in Nizza entstand die Skater-Impression in der Halfpipe links.
Begegnung der etwas anderen Art
Als ich in Barcelona am Ende der Ramblas „unmotiviert herumstand“, sprach mich ein Spanier an, der sich als Künstler zu erkennen gab und mir seine Werke in seiner Wohnung zeigen wollte. Mit mulmigem Gefühl folgte ich ihm und was ich dann sah, bestärkte mich in meiner Skepsis: keine Spur von Atelier, dafür ein Haufen kitschiger, tüdeliger Kram. Ich verließ die Wohnung fast fluchtartig und war mir sicher, einer diffusen Gefahr gerade noch entronnen zu sein.
Abstecher nach Marbella
Den Expreso Richtung Süden kannte ich ja nun schon und alles lief perfekt. Im Zug kam ich wieder mit einem Deutschen ins Gespräch. Peter wollte Freunde in Marbella, ca. 50 km von Málaga, besuchen, die dort einen Ferienbungalow gemietet hatten. Mit Pool. Ich ließ mich also wieder auf einen kleinen Umweg ein und wir bestiegen in Cordoba den Zug Richtung Málaga. Die Fahrt nach Marbella über Torremolinos erfolgte in überfüllten Vorortzügen. Wir durften dann auf dem Rasen des Bungalowgrundstücks schlafen. Der Pool war o.k., das Meer war aber nicht vergleichbar mit den Felsenbuchten in Lagos, Portugal. Mich hielt es daher auch nicht länger als nötig. Was mir noch in Erinnerung geblieben ist: Im Supermarkt von Marbella sprach man Deutsch und am Ende des Förderbands an der Kasse stand ein Einpacker. Man musste aufpassen, dass man nicht zu viel oder zu wenig eingepackt bekam. Nicht mein Ding…
Nichts wie zurück nach Cordoba. Zug nach Sevilla, Zug nach Huelva, Zug nach Ayamonte. Diesmal gehörte ich zu den „Wissenden“ und führte die Karawane zum Hafen mit an. Ich fuhr nach dem Übersetzen mit der Fähre ohne Unterbrechung direkt nach Lagos und fand ein „Quarto“ bei der Zimmervermieterin Marie Luise Climace an der Stadtmauer, bei der ich mit meinem Freund ein Jahr zuvor schon gewesen war – ausgerechnet das winzige Zimmer, das die Hamburgerin damals gehabt hatte.
Sternschnuppen beobachten am Strand
Ich wollte die Sternschnuppen des Perseidenschwarms am Strand anschauen und habe dazu die Strandmatte und den Schlafsack genommen und habe einfach mein Nachtlager am Strand aufgeschlagen und schaute in den Himmel, ohne viel „Lichtverschmutzung“. Dazu platzierte ich den Schlafsack an einer Stelle, die deutlich über der letzten Flut lag. Zum Glück hatte ich damals noch nie etwas von einem Tsunami gehört… Nachdem ich genug Sternschnuppen gesehen hatte, schlief ich ein. Als Schwabe fühlte ich mich dadurch richtig „groß“, auf den Komfort des Zimmers und Betts verzichtet zu haben, obwohl ich es bezahlt hatte… Wenigstens hatte ich aber alle Wertsachen im Zimmer lassen können.
Blütezeit des Nacktstrands
Dieses Jahr war der Nacktstrand an der Felsenbucht links vom Leuchtturm noch stärker bevölkert als das Jahr zuvor. Es gab jetzt sogar so etwas wie einen Kiosk und jemand harkte regelmäßig mit einem Rechen die angespülten Braunalgen (kelp) zusammen. Dass die dann, zusammen mit Müll, von Zeit zu Zeit am Strand verbrannt wurden, war allerdings weniger schön. In dieser Beziehung verhielt ich mich vorbildlich: Ich nahm nichts mit an den Strand: Kein Handtuch, keine Wertsachen, nichts zu essen und nichts zu trinken. Somit konnte ich gar keinen Müll verursachen. Natürlich stellte sich irgendwann Durst und Hunger ein; das war dann für mich das Zeichen, dass ich auch genug Sonne abgekriegt hatte und ich verzog mich auf mein Zimmer zur Siesta.
Die Freaks kehren Lagos den Rücken
Immer wieder spuckte die Bahn Neuankömmlinge in Lagos aus. Die meisten hielten den Ort aber für viel zu touristisch (was waren die dann selbst, wenn sie keine Touristen waren?). Sie ließen Lagos unbesehen (!) „links liegen“ und fuhren nach Sagres an den Südwestzipfel von Portugal. So sah ich mich genötigt, auch noch einmal einen Bus nach Sagres zu nehmen und dem Ort eine zweite Chance zu geben. Aber, wie im Jahr davor, war es öde und windig. Wenigstens wollte ich jetzt den Cabo de São Vicente sehen, wie der südwestlichste Punkt Europas heißt.
Es schien ziemlich weit zu sein. Irgendwie habe ich die Straße nicht gefunden, nur einen Trampelpfad. Überall wuchs Trocken-Vegetation wie Disteln etc. Ob ich den Südwestzipfel tatsächlich erreicht habe, oder aufgrund falschen Schuhwerks (nur Sandalen) so wieder umgekehrt bin, kann ich nicht mehr sagen. Da ich aber kein Foto von der Klippe habe, wird wohl Letzteres zutreffen. Zudem hätte ich zumindest dort die Straße finden müssen. Durchaus möglich, dass ich in die falsche Richtung gegangen bin. In Zeiten von Google Earth hätte ich das Ziel vermutlich erreicht.
Beim Essengehen in Lagos habe ich in diesem Jahr keinen Stromausfall mehr mitbekommen. Im Jahr zuvor waren Kurzschlüsse dagegen häufig gewesen.
Mit zwei Schwedinnen in Lissabon
So schön Lagos ist, vor allem das Nacktschwimmen im Meer, zog es mich dennoch nach etwa acht Tagen weiter nach Lissabon. Bei der ersten Tour hatte ich mit meinem Freund die portugiesische Hauptstadt ja nur schnell „im Vorübergehen“ besichtigt, um rasch nach Schottland zu kommen.
Diesmal wollte ich übernachten. Eine kleine Rucksack-Karawane strebte zum Turismo-Büro in Lissabon. Zwei Mädchen, eine Schwedin und eine Schwedin mit griechischen Wurzeln wollten eigentlich in die Jugendherberge, da schlug aber die Dame vom Turismo vor, dass wir zu dritt (die zwei Mädels und ich) ein Zimmer in einem nahe gelegenen Hotel nehmen konnten. Ich verstand mich mit Freja und Dámaris prächtig. Auf den breiten Gehwegen an der Avenida Almirante Reis machten wir Crowd-Running: Man rennt direkt auf Passanten zu, um im letzten Augenblick auszuweichen. Die Betroffenen waren weniger begeistert…
Wir erkundeten Lissabon zu Fuß und per Metro, und wir checkten, dass manche Fahrten zu dritt mit dem Taxi billiger waren als mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Zu unserem Hotel mussten wir immer durch einen Park gehen und dort begeisterte mich eine wunderschön himmelblau blühende, großblütige Winde: Ipomoea tricolor. Freja sagte, die sei in Schweden verboten, da sie psychoaktive Stoffe (hier Lysergsäureamid, eine Vorstufe von LSD) enthalte. Solche Pflanzen werden heute unter dem Begriff “legal highs” geführt, sofern sie nicht verboten sind, wie in Schweden. Und nein, wir haben kein “Gebräu” daraus hergestellt. Das Foto zeigt eine ähnliche Winde.
Fast von Baywatch-Leuten „gerettet“
Dámaris hatte nach einem Strand gefragt und auch die Buslinie, die dorthin führte, in Erfahrung gebracht. Der Strand hieß Costa da Caparica und war per Bus in ca. 1 ½ Stunden zu erreichen. (Was für paradiesische Zustände waren das doch in Lagos gewesen, wo man locker zum Strand hatte joggen können…).
Die Brandung am “Caparica-Strand” war an diesem Tag ziemlich gewaltig. Aber wenn man die ersten Brecher überwunden hatte, war das Meer recht angenehm. Ich war es von Lagos her gewohnt, weit rauszuschwimmen. Natürlich behielt ich immer den Ausgangspunkt im Auge und begann auch irgendwann, zurückzuschwimmen. Ich kann nicht sagen, dass mir das schwergefallen wäre. Als ich aber am Strand ankam, liefen ein paar Leute auf mich zu, gaben mir ein Getränk und beglückwünschten mich durch Schulterklopfen, um mich danach in tadelndem Tonfall darüber aufzuklären, dass man nicht schwimmen dürfe, wenn die rote Flagge gehisst sei. Sie hätten schon in Erwägung gezogen, mich mit einem Motorboot zu „retten“. Noch ein Grund mehr, Lagos nachzutrauern…
In derselben Nacht habe ich Freja geweckt, als Dámaris schon tief und fest schlief und habe sie gefragt, ob sie mit mir schlafen wolle. Da sie einen Freund hatte, wollte sie nicht.
Am nächsten Tag haben sich unsere Wege dann getrennt…
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