
Eine antiquierte öffentliche Bedürfnisanstalt
Ich ging zum Bahnhof Santa Apolonia und wartete auf den Zug nach Madrid. Ich wollte diesmal quer durch Spanien rüber nach Barcelona und dann über die Pyrenäen, an Andorra vorbei, nach Frankreich. Leider überkam mich jetzt ein dringendes Bedürfnis. Doch die Toiletten in diesem Bahnhof hatten nicht den gewohnten Standard: Man stand mit den Füßen auf zwei Markierungen und unten in der Mitte war ein Loch für den Abfluss. Eine Kabinentür gab es auch nicht… Was soll ich sagen, ich habe auch diese Übung gemeistert und voll reingetroffen…
Ein folgenreiches akustisches Missverständnis
Im Wartebereich des Bahnhofs saß ein junges, 17-jähriges Mädchen. Ich unterhielt mich mit ihr und ich sagte, dass ich nach Madrid fahren wolle, sprach das „d“ am Ende von Madrid wie das englische „th“ aus, wie ich das im Spanischkurs gelernt hatte. Aber Spanisch unterscheidet sich doch vom Portugiesischen. Das sollte sich als schicksalhaft herausstellen… Die junge Portugiesin hieß Ana Cristina und hatte sich mit einer heftigen Umarmung und einem intensiven Kuss verabschiedet. Später hat mir Ana Cristina geschrieben, dass sie den ganzen Zug nach Paris (sie hatte mein „Madrith“ als „Paris“ interpretiert) vergeblich nach mir abgesucht hat.
Sie hatte sich in mich verliebt! Aus der Entfernung habe ich ihre Briefe, die vor Sehnsucht trieften, nicht sonderlich ernst genommen. Ich wusste, dass die Portugiesen den Fado lieben, der auch voller Sehnsucht ist. Jedenfalls sind wir nie über Freundschaft hinausgekommen, nachdem ich zwei Mal während der Sommerferien vergeblich versucht habe, sie in Lissabon zu treffen. Im Zeitalter von Handys und SMS wäre diese Geschichte möglicherweise auch anders ausgegangen. Ana Cristina hat inzwischen zwei prächtige, erwachsene Töchter, ist geschieden und wohnt in – Paris!
Mit einer Nonne im Abteil
Auf dem Weg nach Madrid musste ich diesmal nicht auf dem Gang herumlungern. Ich saß mit einem jungen Spanier, einer ebenso jungen Spanierin, beide aus Murcia, und einer Nonne in einem Abteil. Irgendwie sind die Spanierin und ich übereinander hergefallen und haben hemmungslos geknutscht. Der männliche Begleiter war möglicherweise ihr Bruder oder was auch immer… Die Nonne jedenfalls hat es ertragen, ohne eine Miene zu verziehen.

Erwähnenswert ist noch, dass mich ein paar bekiffte Spanier nach Streichhölzern (cerillos) gefragt haben und ich zuerst nicht verstand und dann „Ah, fósforos“ sagte und ihnen eine portugiesische Streichholzschachtel reichte und sie mich tatsächlich für einen Portugiesen gehalten haben!
Bei den “fósforos” handelte es sich um bei uns seltene “Überall”-Zündhölzer.
Ich hatte sie eigentlich als Andenken gekauft.
Bekanntlich bin ich ja eingefleischter Nichtraucher.
In Madrid musste ich aufpassen, dass ich keinen klimatisierten (und damit zuschlagpflichtigen) „Talgo“-Zug nach Barcelona nahm. Damalige Interrailer haben solche Züge immer vermieden.
Das „erste Mal“ beim dritten Stopp in Barcelona


Ich blieb dann eine Nacht in Barcelona. Wie ich bei meinem dritten Aufenthalt in dieser Metropole meine Unschuld verloren habe, ist eine andere Geschichte.
Gefunden habe ich im Gegenzug aber auch etwas: Auf dem Balkon meines Zimmers lag wundersamerweise ein graues Kappa-T-Shirt. Es hat sogar gepasst und es befindet sich immer noch in meinem Hausstand, inzwischen in Bordeauxrot gefärbt…
Noch eine Adresse / wunderschönes Bergdorf in der Nähe von Andorra

Der Regionalzug Richtung Pyrenäen war nicht übermäßig voll und ich kam ins Gespräch mit einer kleinen Spanierin. Pilar studierte in Barcelona und ihre Eltern wohnten in Borredá, einem Dorf am Rande der Pyrenäen. Wieder hatte ich ein Mädchen geküsst und eine Adresse gesammelt. Jahre später besuchte ich sie unter anderem über Ostern in ihrer WG in Barcelona und auch sie hat mich in Deutschland besucht. Inzwischen ist der Kontakt aber abgebrochen.
Die Bahnfahrt endete in Puigcerda. Ich fuhr mit einem überfüllten Bus auf einer Hochebene mit atemberaubendem Bergpanorama weiter Richtung Andorra. In einem hübschen Ort namens Martinet stieg ich vorzeitig aus. Martinet hat ein kleines Freibad und, wie gesagt, eine umwerfende Landschaft. Ich nahm ein Zimmer in einer kleinen Pension. Zum Frühstücken konnte man sich Brötchen vom Bäcker kaufen und in einer Frühstücksbar zum café expreso verzehren. Das war o.k. und viele machten das so.

In Martinet war was los: Am Abend fand ein Boule-Turnier statt! Die nennen das aber Petanca. Ich hätte auf einen Außenseiter gesetzt. Der hatte einen sehr eigenwilligen Wurfstil, hat aber dann doch “keinen Blumentopf” gewonnen.
Später war dann auch noch die Wahl der Miss Turismo 1980. Wenn ich mich recht erinnere, hatten die immerhin vier oder fünf Kandidatinnen aufgetrieben. Es waren auch alle ganz ansehnlich.
Eigentlich wollte ich ja nach Andorra


Ich unterhielt mich mit einem englischen Ehepaar und konnte sie davon überzeugen, dass sich ein Besuch in Andorra lohnen würde. Sie ließen mich in ihrem Auto mitfahren. Ich weiß nicht, ob der Preisunterschied bei Kraftstoffen auch 1980 schon so krass war wie heute. Jedenfalls wollte mein „Chauffeur“ noch in Andorra tanken. An der Tankstelle war eine lange Schlange und es dauerte ewig. Wie sich herausstellte, musste der Tankwart mit einer Hebelpumpe das Benzin von Hand in den Tank befördern, da die elektrischen Pumpen wohl ausgefallen waren….
Was ich bei diesem, dem ersten, Andorra-Besuch gekauft habe, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall war eine kleine, khaki-braune, flexible Sporttasche äußerst dünnen Nylon-Materials dabei, die ich über alles geliebt habe, die mir aber Jahre später in Benidorm (samt recht wertlosem Inhalt) gestohlen werden sollte…
Real-Achterbahn – für Interrailer kostenlos
Die vier Wochen gingen langsam zu Ende und ich machte mich mit dem Bus auf nach Puigcerda, von wo man 500 m durch den Ort nach Bourg-Madame, auf die französische Seite, kommt. (Anmerkung: Die Spurweite der Eisenbahn in Spanien und Portugal unterscheidet sich von der des überwiegenden Rests von Europa und daher gibt es keine durchgehenden Züge. Dies gilt nicht für moderne Hochgeschwindigkeitszüge.) Von Bourg-Madame (manche auch von Latour-de-Carol) startet der Petit Train Jaune, ein altertümlicher Zug mit Holz-Sitzen, der in gelb und rot angestrichen ist. Im Sommer kann man in offenen Waggons fahren.



Die Strecke fängt in Bourg Madame harmlos an, entwickelt sich dann aber zu einer Real-Achterbahn, inklusive Kindergeschrei in den Tunnels und auf verwegenen Brücken und Viadukten, jeweils enge Kurven inklusive.

Ich bin wirklich froh, diese Route gefunden und gewählt zu haben und kann es nur empfehlen. Aufgrund des Achterbahn-Effekts ist die Bergab-Fahrt nach Villefranche Vernet les Bains (Villefranche de Conflent), der Anfangs-/Endstation des kleinen gelben Zuges, aufregender als der umgekehrte Weg (Link zu klasse Youtube_-Video). Für Radfahrer, welche mit dem Rad die Pyrenäen „hinunterheizen“ wollen, gilt natürlich das Umgekehrte.
Von Villefranche de Conflent kommt man recht schnell nach Perpignan. Von dort über Paris nach Stuttgart.
Nicht alle Franzosen sind unkompliziert und freizügig
Trotz Hauptreisezeit konnte ich einen Platz in einem D-Zug-Sechser-Abteil von Paris nach Stuttgart ergattern. Leider weigerte sich ein französisches Ehepaar um die 30, auch ihre Plätze zur Verfügung zu stellen, um durch Zusammenschieben aller Sitze eine komplette Liegefläche zu bilden. So mussten ich und drei andere junge Rucksackreisende uns suboptimal auf der verbliebenen Fläche hinkauern.
Es hat sich insgesamt gezeigt, dass die Erfahrungen aus der ersten Interrail-Fahrt 1979 enorm zum Gelingen des Projekts 1980 beigetragen haben.

Der Interrail Global Pass gilt seit 2016 auch für die Strecken bis zur und von der Grenze in D.
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